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14.08.2010Das BVerfG schränkt den Untreuestraftatbestand ein

Von: K. Jan Schiffer

Vorweg (ergänzt am 25.08.2010):

In dem nachfolgende besprochenen Beschluss findet sich folgende interessante "historische" Ausführung, die die Relevanz des Themas für Stiftungen hervorhebt (Rn 6 ff., Hervorhebung = von mir):

"Das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1870 erweiterte diesen Tatbestand in mehrfacher Hinsicht; diese Fassung des Untreuetatbestands wurde unverändert als § 266 in das Reichsstrafgesetzbuch vom 15. Mai 1871 (RGBl S. 127) übernommen. Sie lautete:

Wegen Untreue werden mit Gefängnis, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, bestraft: 

1) Vormünder, Kuratoren, Güterpfleger, Sequester, Massenverwalter,
Vollstrecker letztwilliger Verfügungen und Verwalter von Stiftungen, wenn sie absichtlich zum Nachteile der ihrer Aufsicht anvertrauten Personen oder Sachen handeln;

..."

---

(14.08.2010)

Am 11.08.2010 hat es uns die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mitgeteilt (Pressemitteilung Nr. 60/2010):  Das Bundesverfassungsgericht hat durch Beschluss vom 23.06.2010 in drei miteinander verbundenen Verfahren (2 BvR 2559/08, 2 BvR 105/09, 2 BvR 491/09, hier nun im Volltext) über die Anwendung und Auslegung des Tatbestandes der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebotes des Art. 103 Abs. 2 GG mit folgenden Ergebnissen entschieden:

  1. Einerseits hat das BVerfG – wenig überraschend - ; die im juristischen Schrifttum zum Teil bezweifelte (siehe Fischer, Strafgesetzbuch, 57. Aufl.2010, § 266 StGB Rn. 5 m. w. N.) Verfassungsmäßigkeit des Untreue-Tatbestandes bejaht.
  2. Andererseits hat es in einem Fall die Bewährungsstrafe, die wegen Untreue ergangen war, wegen Verletzung des Rechts der Beschwerdeführer aus Art. 103 Abs. 2 GG aufgehoben und diese Sache an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.

Was folgt daraus über den vom BVerfG entschiedenen Fall hinaus?

Betrachten wir die Begründung des BVerfG für seine Entscheidung!

Das BVerfG hat laut der Pressemitteilung (Die Beschlüsse wurden erst anschließend veröffentlicht, s. o.) seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt mit im vorliegenden Zusammenhang z. T. durchaus „neuartigen“ Überlegungen begründet:

Verfassungsrechtliche Bedenken, die die Weite eines Straftatbestandes bei isolierter Betrachtung auslösen müsste, können durch eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung entkräftet werden. Die Rechtsprechung ist daher gehalten, verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen (Präzisierungsgebot). Aufgrund des in Art.  103 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden strengen Gesetzesvorbehalts ist die Kontrolldichte des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Rechtsanwendung durch die Fachgerichte im Bereich des materiellen Strafrechts erhöht.

Der Untreuetatbestand ist nach Ansicht des BVerfG mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG noch zu vereinbaren. Zwar habe das Regelungskonzept des Gesetzgebers - im Interesse eines wirksamen und umfassenden Vermögensschutzes - zu einer sehr weit gefassten und verhältnismäßig unscharfen Strafvorschrift geführt. § 266 Abs. 1 StGB lasse jedoch das zu schützende Rechtsgut ebenso klar erkennen wie die besonderen Gefahren, vor denen der Gesetzgeber dieses mit Hilfe des Tatbestandes bewahren wolle. Der Untreuetatbestand lasse eine konkretisierende Auslegung zu, die die Rechtsprechung in langjähriger Praxis umgesetzt und die sich in ihrer tatbestandsbegrenzenden Funktion grundsätzlich als tragfähig erwiesen habe.

Den danach an die Auslegung des § 266 Abs. 1 StGB zu stellenden Anforderungen genügten nach Ansicht des BVerfG genügten die angegriffenen Verurteilungen in den ersten beiden Fällen, nicht jedoch die Verurteilung der Vorstände der Berlin-Hannoverschen Hypothekenbank AG (dritter Fall). Es fehle an der von Verfassungswegen erforderlichen wirtschaftlich nachvollziehbaren Feststellung und Darlegung eines Vermögensnachteils (Schadens).

Hier hatte das Landgericht auf die Rechtsfigur des Gefährdungsschadens zurückgegriffen, weil der durch Auszahlung des Kreditbetrags eingetretenen Vermögensminderung ein gleichwertiger Vermögenszuwachs in Form des Rückzahlungsanspruchs nicht gegenübergestanden habe, soweit die Rückzahlung mangels ausreichend werthaltiger Sicherheiten nicht gewährleistet gewesen sei. Dies sei, so das BVerfG, im Ausgangspunkt verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar sei mit der Rechtsfigur des Gefährdungsschadens in erhöhtem Maße die Gefahr einer Überdehnung des Untreuetatbestandes durch Gleichsetzung von gegenwärtigem Schaden und zukünftiger Verlustgefahr verbunden; dies würde die Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine Strafbarkeit des Untreueversuchs unterlaufen und die Eigenständigkeit des Nachteilsmerkmals in Frage stellen. Dieser Gefahr könne jedoch begegnet werden, indem (auch) Gefährdungsschäden von den Gerichten in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise nach anerkannten Bewertungsverfahren und -maßstäben festgestellt werden; soweit komplexe wirtschaftliche Analysen vorzunehmen seien, werde die Hinzuziehung eines Sachverständigen erforderlich sein.

Daran fehle es in dem Berliner Fall. Die Entscheidungen des Landgerichts und des Bundesgerichtshofs verletzten damit das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, weil sie einen Vermögensschaden angenommen hätten, obwohl keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende, wirtschaftlich nachvollziehbare Feststellungen zu dem Nachteil getroffen worden sei, der durch die pflichtwidrige Kreditvergabe der Beschwerdeführer verursacht worden sein könnte. Dass nach der Bewertung des BGH die als Vorstandsmitglieder verantwortlichen Beschwerdeführer ein allzu weites Risiko eingegangen seien, indem sie die Kreditgewährung für das Gesamtkonzept pflichtwidrig unter Vernachlässigung anerkannter deutlicher Risiken und Negierung vielfältiger Warnungen fortsetzten, ersetze, so das BVerfG, nicht die Feststellung eines konkreten Schadens.

Fazit:

Der Untreuetatbestand ist nach Ansicht des BVerfG mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG „noch“ zu vereinbaren.

Das „noch“ erscheint mir als ein deutlicher Hinweis an die Praxis, den Untreuetatbestand nicht weiter auszudehnen. Ich bin gespannt, wie die Praxis auf diesen „Warnhinweiss“ reagieren wird. Sie sollte ihn aus meiner Sicht zum Anlass nehmen, in jedem Fall genau und konkret zu prüfen, ob das zu schützende Rechtsgut (= das individuelle Vermögen des Treugebers, s. Fischer, a.a.O.; Rn. 2) tatsächlich verletzt ist.

Auch die Frage, ob tatsächlich im Einzelfall, überhaupt eine Vermögensbetreuungspflicht (s. Fischer, a.a.O., Rn. 21 ff.) besteht und die in Frage stehende Tathandlung tatsächlich pflichtwidrig ist.

Besonders schwierig zu beantworten ist die Frage nach einer Pflichtverletzung etwa bei Risikogeschäften (Stichworte: Kreditgeschäfte, Vergleiche über streitige Forderungen, …; s. Fischer, a.a.O.; Rn. 63).

Der Hinweis des Gerichts auf den nachzuweisenden Schaden als Tatbestandsvoraussetzung überzeugt. Die Bejahung eines Gefährdungsschadens als „als schadensgleiche Vermögensgefährdung“ (Fischer, a.a.O., Rn. 150) darf vor allem  nicht schlagwortartig erfolgen, sondern nur mit konkreter Begründung aufgrund der Besonderheiten des spezifischen Einzelfalles.  Das BVerfG fordert hier „verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende, wirtschaftlich nachvollziehbare Feststellungen zu dem Nachteil“.